Projektkoordinatorin Wibke Reimer stellt sich vor

Auch wenn es kaum zu glauben ist: Der bunt bekleidete Pfeifer, der im Jahre 1284 130 Hamelner Kinder entführt haben soll, zieht auch heute noch Menschen in seinen Bann. Zumindest war die Erzählung vom Rattenfänger in meinem Fall mitausschlaggebend für den Umzug in die kleine Stadt an der Weser – und das aus über 4.000km Entfernung.

Gebürtig aus Mecklenburg-Vorpommern stammend – genauer gesagt von der Halbinsel Fischland/Darß/Zingst – führte mich mein Studium der Europäischen Ethnologie (Volkskunde) nach Jena und Aberdeen (Schottland). Im Anschluss verbrachte ich über drei Jahre am Goethe-Institut Jordanien, wo ich zunächst als FSJ-lerin, dann als Bibliothekarin und Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache tätig war. Meine eigentliche Leidenschaft galt jedoch schon immer dem Museum.

Als ich im Herbst 2016 die Stellenanzeigen des Deutschen Museumbundes virtuell durchblätterte, blieb ich plötzlich an einer Ausschreibung für ein wissenschaftliches Volontariat am Museum Hameln hängen. Eigentlich wollte ich ja unbedingt an ein Freilichtmuseum, aber: „Moment mal! Ist Hameln nicht die Stadt, in der die Geschichte vom Rattenfänger spielt?“ Nach nur einem Klick wurde meine Vermutung sogar noch übertroffen: Die „große selbständige [sic!] Stadt Hameln“ erwähnte die Sage nicht nur in der Stellenausschreibung, sondern positionierte sich ganz entscheidend als der sagenhafte Ort, an dem die bekannte Erzählung spielte.

Meine Neugier war geweckt! Für eine Volkskundlerin mit speziellem Interesse für Erzählforschung konnte es keinen geeigneteren Ort als Hameln geben, um nach Deutschland zurückzukehren. „Hameln – the place to be for Volkskundler!“ Nach einer kurzen, aber enthusiastischen Internet-Recherche – ich hatte nämlich keine Ahnung, wo Hameln eigentlich liegt – war die Entscheidung getroffen: Das Museum würde von mir hören. Neben der Dauerausstellung zur Rattenfänger-Sage lief 2016 nämlich noch die Jubiläumsausstellung „200 Jahre Sagenwelt der Brüder Grimm“. Ich entschied, dass das Museum und ich definitiv auf einer Wellenlänge lägen.

Gesagt, getan! Nach einem Skype-Interview und einem etwas umständlicheren Umzug mit meinen beiden jordanischen Katzen, lebe ich nun seit Januar 2017 in dieser kleinen, aber feinen Stadt an der Weser. Und ich wurde nicht enttäuscht: Der Rattenfänger ist hier genauso allgegenwärtig wie die Sage lebendig. Inzwischen ist sie durch das Projekt Pied Pied International. Auf den Wegen des Rattenfängers, zu meinem Lebensmittelpunkt geworden und wird es zumindest noch bis Juni 2020 noch bleiben.

Mit der lebenden Legende auf dem Hamelner Weinfest 2018. Foto: Stefan Daberkow

Dies ist nur ein persönliches Beispiel, welch hohe Faszinationskraft traditionelle Erzählungen auf Menschen ausüben können. Die Rattenfänger-Sage hat sich nicht nur ins kollektive Gedächtnis der Menschen vor Ort eingebrannt, sondern ist Teil der  Wahrnehmung Hamelns geworden – und dies weit über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinweg.

Falls auch Sie eine spezielle Verbindung zur Rattenfänger-Sage haben – sei es durch ein Urlaubserlebnis, eine Erinnerung oder Assoziation – würde ich mich freuen, von Ihnen zu hören oder zu lesen. Denn am Museum Hameln sind wir der Meinung, dass immaterielle Kultur von Bedeutung ist!