Ngoc Nguyen während ihres Praktikums im Museum Hameln. Die aus Vietnam stammende Hamelnerin studiert in Braunschweig Lehramt für die Grundschule. Während ihres Praktikums beschäftigte sie sich u.a. mit der Rezeption der Sage in Vietnam und verfasste dazu den folgenden Beitrag.

Die Rattenfänger-Sage in Vietnam

Wie ich die Sage kennenlernte

Mit 7 Jahren bin ich aus Vietnam nach Deutschland ausgewandert. Damals wohnten meine Familie und ich noch in Magdeburg und erst Jahre später zogen wir nach Hameln. Die Sage lernte ich erst durch den Umzug kennen. Als ich meinen Verwandten in Vietnam sagte, dass wir jetzt in der Rattenfänger-Stadt leben, hatten sie keine Ahnung, was ich meinte.

Die Überraschung

Als Einwohnerin von Hameln ist es für mich nun selbstverständlich, dass ich die Sage kenne. Allerdings hatte ich bisher das Gefühl, dass sie in Vietnam nicht allzu sehr bekannt ist. Als ich mich im Rahmen meines Praktikums näher mit ihrer Verbreitung beschäftigte, war ich erstaunt, wie viele vietnamesische Bücher, Kurzvideos und Theateraufführungen es zu der Sage gibt – viele allerdings auf Englisch.

Kulturelle Besonderheiten?

Zur Sammlung des Museums gehören drei vietnamesische Rattenfänger-Bücher, die 2011 und 2015 erschienen sind. Bei zwei Exemplaren handelt es sich um Übersetzungen aus dem Englischen. Das dritte wurde aus dem Spanischen übersetzt.

Wie in vielen anderen Sprachen bezeichnet man auch auf Vietnamesisch den Rattenfänger als Flötenspieler. „Người thổi sáo thành hamelin“ heißt wörtlich übersetzt „der flötenspielende Mann der Stadt Hameln“.

Das vietnamesische Buch nach spanischer Vorlage hat mich sehr amüsiert, weil kulturelle Besonderheiten im vietnamesischen Wortschatz viel mehr zum Vorschein kommen. Ausdrücke wie „Đến phát điên lên mất!“ (Da wird ja man verrückt!) oder „…đàn chuột lao tõm hết xuồng thác nước.“ (Die Ratten fielen alle plumps in den Wasserfall.) kann man nicht ins Deutsche übersetzen. Zumindest würden sie nicht die lustige Intention haben, die sie auf Vietnamesisch vermitteln wollen. Eine weitere Besonderheit ist das positive Ende, das sehr häufig in spanischen Sagenversionen anzutreffen ist. Nachdem der Flötenspieler die Kinder weggeführt hat, wird er doch noch entlohnt. Die Kinder kehren zu ihren Eltern zurück. Alle Beteiligten haben ihre Lektion gelernt.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Sowohl vietnamesische Bücher als auch Kurzvideos sind sehr kindgerecht gestaltet. Die Moral scheint im Mittelpunkt zu stehen. Daraus kann man schließen, dass Kinder etwas lernen sollen. Man soll sein Versprechen halten oder ein Versprechen nicht geben, wenn man es nicht halten kann. Auch für das spätere Leben ist diese Moral von Bedeutung.

Im Netz findet man mehrere kurze Animationsfilme auf Vietnamesisch. Hier ein Beispiel mit englischen Untertiteln.