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„Spielt selbst das Lied“
oder
Der Rattenfänger bietet nicht weiter seine Dienste an

Ein Versuch, die Pfeifer-Sage und die Rattenplage auf heutige Verhältnisse umzudeuten

Hameln, September 2019, I. B. Schudak

 

I. Die Bürger sehen ihre Not und sind hilflos

„Die Stadt und die Natur
sind voller Plagen.
Hilflos sind wir.
Wir werden verzagen.
Die Hitze, die Ratten, der Müll,
die Tiere verschwinden,
der Boden wird Wüste,
das Eis wird zerschmelzen,
das Wasser, es steigt in die Stadt.
Wo werden wir Zuflucht und Sicherheit finden?
Wie werden wir unser Zagen verwinden?

Die Folgen unsrer Taten –
soll’n wir sie einfach so abwarten?
Wir sind so reich und wohl genährt,
wär‘ bloß doch die Natur nicht so verkehrt.

Wir brauchen einen
der uns rät,
und uns befreit,
sonst ist’s zu spät!

Wer hilft und pfeift
damit in uns Erkenntnis reift?
Wer macht Musik,
spielt auf,
damit der Lauf
der Dinge
nicht weiter nur von uns abhinge?

Der dort?
Der Musiker, im bunten Hemde,
der, aus der Fremde?
Kann er uns helfen und beraten?
Lasst ihm bezahlen reichlich Geld,
damit er rettet unsere Welt!“

 

II. Der Pfeifer kennt die Plagen, aber verweigert seine Hilfe

Ich bin das unbekannte Kind und Schützer der Natur!
Ich bin der bunte Reiniger,
und euer Peiniger,
den diese kleine, nette Stadt
jedoch so ganz und gar nicht nötig hat.

Ich bin kein Zauberer, kein Magier,
doch bleib‘ als Kenner,
der Natur und auch den Menschen auf der Spur!
Weiß Ratten wie Menschen zu behandeln,
Weiß Verhältnisse zu wandeln:
zum Guten oder Bösen,
Natur und Menschen zu erlösen.
Es liegt an Euch.

Wenn ihr doch hört die Sage,
seht ihr vor euch die Plage?
Die Nager um euch ‚rum
und die in euch?
Sie fangen eure Sinne, eure Ohren, eure Augen,
bis sie zerlaugen.
Sie nagen und fressen,
und pressen
den letzten Lebenssaft
aus euch.

Von all dem säub’re ich euch – auch nicht,
wenn jeder Bürger dieser Stadt verspricht,
mir sagt: „Bin’s leid! – Ich hab‘ es satt …
dass wir uns selbst
und diese Erde und das Wasser
verseuchen, und noch krasser,
die Tiere treten, die Erde versiegeln
und uns dann einfach nur ein-igeln.“

Die Luft zum Atmen,
die Erde zum Wachsen,
das Naß zum Trinken –
all dies zum Leben.

Wer wird vergeben …
wenn wir all dies vergeuden,
mißhandeln und treten;
Wer wird für uns beten?

Kennt ihr das Leid,
den Hunger und die Not?
Ihr wisst, dass euer Brot
gesunde Erde braucht.

Und – eure Seele?
Kennt sie doch nur Befehle?

Ihr wisst euch selber zu behandeln
und Verhältnisse zu wandeln:
zum Guten oder Bösen
euch zu erlösen.
Es liegt an euch.

Spielt selbst die Flöte;
ihr kennt das Lied!

 

III. Die Kinder kennen die Not und sprechen für sich

Die Kinder dieser Stadt und dieser Welt …
sie sagen:
„Uns reichts! Wir wollen Eure inn’ren, äuß’ren Plagen
nicht weiter länger mehr ertragen!
Wann tut ihr endlich Eure Pflicht?
Dass keiner von euch weiter nur verspricht, verspricht, verspricht.

Wir folgen keinem Fänger mehr,
wir hören seine Mahnung.
Er kennt nicht nur die äuß’re,
doch auch die inn’re Not,
die uns bedrückt.

Wir wissen um das Unheil und das Leid –
es bahnt sich an.
Es kann
nur aufgehalten werden,
wenn wir auf Erden
es unterlassen,
alles so sinnlos zu verprassen.

Wir kennen auch das Lied,
das uns befreit:
Wir wollen leben!
Wir wollen geben –
der Welt, der Stadt,
die sonst keine gute Zukunft hat;
der Stadt, der Welt:
Nicht Geld!

Wir wollen Leben, Geist, – und Sinn,
der sagt: Ich bin
des Lebens Fülle!
(Und nicht nur Hülle.)