Jutta Schmidt (rechts) am 11. Mai 2019 während der Rattenfänger-Rallye an der Station Münsterkirchhof. Foto: Museum Hameln

Projekt-Teilnehmerin Jutta Schmidt stellt sich vor

Meine persönliche Erinnerung an den Rattenfänger ist die Erscheinung eines prinzenähnlichen, in Seide gekleideten jungen Mannes auf einem buntbeflaggten Donauschiff, am alten Donauarm, wo die Kinder freudig seinen fröhlichen Liedern auf das Schiff folgten. Auch ich wäre gern gefolgt, um grenzenlos nach Budapest zu Mutters Verwandten zu gelangen, was ja in der Realität zur Nachkriegszeit nicht möglich war. Die eigentliche Bedeutung der Sage war mir nicht klar, auch Hameln war mir kein Begriff. Für mich gab es nur den Rattenfänger aus Korneuburg und die Figur am Brunnen begeisterte mich keineswegs. Sie beleidigte meinen Prinzen.

Rattenfänger-Brunnen in Korneuburg, Foto: Wolfgang Morscher, 2006, gefunden auf: sagen.at

Erst nach einem Besuch zu Studienzeiten und einer Stadtführung durch Korneuburg erfuhr ich Näheres über diese Zeit und die Bedeutung der Rattenplage im Mittelalter und der Wandersage, die an vielen Orten in Europa, aber besonders in Hameln ihren Ursprung haben sollte.

Von Österreich nach Hameln

Nach meiner Studienzeit in Wien führte mich mein weiterer Lebensweg nach Norddeutschland, wo ich mit den „Bremer Stadtmusikanten“ Bekanntschaft machte. Auch diese Sage kannte ich aus Kindheitstagen. Einige Jahre später zog ich mit meiner Familie ins Schaumburger Land, wo ich abermals an eine Kindheitserinnerung anknüpfen konnte – nur war es diesmal nicht der „Rattenfänger von Korneuburg“, sondern der Rattenfänger aus Hameln, wo die Ratten nicht in die Donau, sondern in die Weser gelockt wurden.

Kinderauszug auf der Donau, © Illustration: Fritz Gareis, in: Wiener Sagen, 1956, S. 55.

Der Rattenfänger von Korneuburg

Der Inhalt der des „Rattenfängers von Korneuburg“ ähnelt fast bis in alle Einzelheiten:

Als man der Rattenplage nicht mehr Herr wurde, ließ der Bürgermeister austrommeln. Es meldete sich ein seltsamer Mann aus Wien, der mit einer schwarzen Flöte schreckliche Töne hervorzauberte, denen die Ratten in die Donau folgten, wo sie jämmerlich ertranken. Der Bürgermeister speiste den Mann mit ein paar Münzen ab und jagte ihn aus der Stadt. Wenige Wochen später kam ein Musikant in rotem Samtwams und seidenen Hosen auf einem bunten Schiff. Er blies liebliche Töne und die Kinder folgten ihm auf’s Schiff. Sie waren nie mehr gesehen. Nur zwei Korneuburger Kinder blieben zurück. Das eine war taub und das andere kam zu spät. Man munkelte, dass die Kinder für das geschuldete Geld verkauft wurden.

Der Rattenfänger vom Magdalenengrund

Im Rattenfänger vom Magdalenengrund (Ort in Wien) bot Hans Mäusel seine Hilfe an. Er kam als Jäger verkleidet mit einer kleinen schwarzen Flöte und lockte die Ratten mit schrillen Tönen in die Donau. Als er sein Geld forderte, beschimpften ihn die Bürger, er sei des Teufels und ein Zauberer, und jagten ihn zum Tor hinaus. Er forderte die Bürger auf, den versprochenen Lohn, in ein Mauerloch an der Kirche zu legen, sonst würden sie es noch büßen. Nachdem der Aufforderung nicht Folge geleistet wurde , erschien er nach kurzer Zeit in rotem Gewand am Marktplatz und spielte liebliche Lieder. Die Kinder folgten ihm fröhlich singend und stiegen in sein Boot. Die Kinder wurden nicht mehr gesehen. War er ein Kaufmann aus dem Morgenland und verkaufte er die Kinder auf dem Sklavenmarkt in Konstantinopel?

Weitere Rattenvertreibungssagen aus Österreich

Eine andere Version der Wandersage von der Rattenvertreibung wurde ohne Kinderauszugsmotiv in Freistadt, Mühlviertel, Oberösterreich, bekannt:

Ein Viehhirt bot sich an, die Ratten zu vertreiben. Er blies am Marktplatz das Horn. Die Ratten kamen aus ihren Löchern und folgten ihm in den Teich. Als er mit dem Blasen aufhörte, ertranken die Ratten.

Im „Prozess um die Lutmäuse“ in Glurms, Tirol ging es um die Exkommunikation von Mäusen und deren Vergiftung im Mittelalter. (Freies Geleit für schwangere Mäuse)

Oh, du lieber Augustin

Fragt man die Wiener bzw. Österreicher heute nach dem Mittelalter, dann kommt der „Liebe Augustin“ zum Vorschein, die Zeit der vielen Pesttoten und  des betrunkenen Spielmanns, der sich im Gasthaus zum Goldenen Dachl betrank und sturzbesoffen in der Gasse liegen blieb. Die Pestknechte hielten ihn für tot und zerrten ihn auf die Karre und luden ihn in der Pestgrube ab. Nach dem Erwachen war der Spielmann geschockt und konnte nur mit Hilfe der Knechte gerettet werden. Er hatte Glück, dass das Loch noch nicht voll war und daher über Nacht nicht zugeschüttet wurde. Das spöttische Lied „Oh, du lieber Augustin“ ist heute noch in aller Munde. Dem Spielmann ist ein Denkmal am Wiener Fleischmarkt gewidmet.

 

Zum Weiterlesen:

Neitz, Frank: Rattenfänger weltweit. Wo der Pfeifer sonst noch flötet, Dewezet, 02.3.2019.

Behmann, Ulrich: Sagen-Klau. Österreicher feiern den Rattenfänger von Korneuburg, Dewezet, 20.01.1998.